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hierhin und dorthin
Christine König Galerie, Wien

24.03. – 06.05.2006

Ossi Stimm

HIERHIN UND DORTHIN, 2005-2006

hierhin und dorthin

 Uta Webers Zeichnungen handeln, wie der Titel bereits ankündigt, vom Reisen: Reisen mit dem Auto und mit dem Flugzeug. Sie zeigen jedoch nicht Städte, Sehenswürdigkeiten oder reizvolle Landschaften, im Sinne von erinnerungswürdigem Gesehenen. Vielmehr sind es Nicht-Orte, Orte von üblicherweise geringem Interesse aus der extremen Perspektive des Reisenden selbst. Der Akt des Reisens an sich wird zum zentralen Anliegen der Künstlerin. Unsere heutige mobile Gesellschaft, wie sie der Soziologe Richard Sennett in seinem Buch „Der flexible Mensch“ schildert, kommt in Uta Webers Zeichnungen klar zum Ausdruck. Autobahnrastplätze, Autobahnbrückenkreuzungen oder Tankstellen zeigen gesichts- und namenlose Orte, die jeder Autofahrer aus eigener Erfahrung kennt. Eine gewisse Melancholie kennzeichnet diese Bilder, die menschenleer und ohne verkehrsbedingte Betriebsamkeit die Einsamkeit des Reisenden vermitteln. Ungewöhnliche Perspektiven verleihen den Zeichnungen beinahe fotografischen Anschein mit dokumentarischem Charakter. Flüchtige Momente, wie das Vorbeirasen an Autobahntankstellen oder Unterfahren von Autobahnbrücken, bekommen wie in einem Film-Still dauerhafte Präsenz. Die plakative Zeichentechnik, ohne Spuren von Duktus oder Gestik, unterstützen diesen Eindruck, währenddessen die Wahl der Farbigkeit den Betrachter in die Fiktion zurückholt.

HIERHIN UND DORTHIN, 2005-2006

Die Serie der „Flug“-Zeichnungen führt dem Betrachter die noch immer ungewöhnliche und für den Reisenden selbst auch aufregende Art und Weise der Fortbewegung in der Luft vor Augen. Der jahrhundertalte Traum vom Fliegen und somit das Schauen aus der Vogelperspektive auf die Erde ist im 20. Jahrhundert Wirklichkeit, ja sogar zur Routine geworden. Sowohl die Sicht vom Flugzeug auf die Erde, von oben nach unten, als auch der ferne Blick in den Himmel auf die Flugzeuge, von unten nach oben, zeugen davon.

Wie abstrakte, gegenstandlose Darstellungen muten die Zeichnungen „Wolke“, „Kreuzung“ oder „Himmel über….“ an, wenn sich die Farbe des Himmels und das Weiß der Kondensstreifen gegenüber stehen. Auch der Ausdruck von Fernweh vermittelt der wehmütige Blick in den weiten Himmel. Die Dichterin und Schriftstellerin Gertrude Stein schrieb über die Faszination des Fliegens am Anfang des 20. Jahrhundert und sah Analogien in der modernen Kunst: “Als ich in Amerika war, reiste ich ziemlich viel mit dem Flugzeug, und als ich auf die Erde hinunterschaute, sah ich alle die Linien des Kubismus, die zu einer Zeit entstanden waren, als noch kein Maler in einem Flugzeug aufgestiegen war. Ich sah dort unten auf der Erde Picassos vermischte Linien, sah sie kommen und gehen, sich entwickeln und sich zerstören; ich sah Braques einfache Lösungen, ich sah Massons umherschweifende Linien, ja, ich sah das, und wieder erkannte ich, daß ein schöpferischer Mensch zeitgenössisch ist; er versteht was zeitgenössisch ist, wenn Zeitgenossen es noch nicht wissen.“

HIERHIN UND DORTHIN, 2005-2006

Das Charakteristische an Uta Webers Zeichnungen ist die Darstellung der Distanzüberwindung des Reisens als einen besonderen Moment. Losgelöst von der Routine des Alltags, irgendwo zwischen Abfahrt und Ankunft, befindet sich der Reisende in einer Art „Auszeit“, die ihn von jeglicher Verbindlichkeit und Verantwortung für eine bestimmte Zeit erlöst. Das stundenlange Verweilen in der Wartehalle eines Flughafens oder eine ausgedehnte Autofahrt versetzen den Reisenden in eine erzwungene Passivität, die in der Schnelllebigkeit und Hektik unserer heutigen Gesellschaft Seltenheitswert besitzt. Das „Nichtstun“ ermöglicht so, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen sowie Träumen und Wünschen nachzugehen. So greifen die Zeichnungen jene Augenblicke auf, die den Zustand des Verweilens an Nicht-Orten und in Nicht-Zeiten als etwas Außergewöhnliches beschreiben.

Dr. Silke Immenga

IM NEBEL, 2005

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